Stellungnahme

Schnellteste für Kinder und Jugendliche? Testverfahren sinnvoll einsetzen

Kinder und Jugendliche leiden unter den aktuellen Bedingungen der Pandemie mit Kita-/Schulschließungen neben den Limitationen zum Bildungszugang zusätzlich substanziell unter den massiven Einschränkungen in ihren Sozialkontakten mit teils gravierenden psychosomatischen und psychischen Folgen. Das Recht der nachwachsenden Generation auf eine möglichst geringe Beeinträchtigung ihrer Lebensbedingungen muss in den politischen Entscheidungen berücksichtigt werden.

Kinder sind Teil des Infektionsgeschehens in der Bevölkerung und können somit Infektionen weitertragen; ein Anstieg der Inzidenz bei Kindern folgt zeitlich dem bei Erwachsenen. Studien zu Impfstoffzulassungen im Kindes-und Jugendalter werden z.Zt. durchgeführt, wir hoffen, dass Ende 2021 die ersten Zulassungen erfolgen werden und auch Kinder dann geimpft werden können. Im Rahmen der konsequent umzusetzenden Empfehlungen zur Ermöglichung eines sicheren Schulbetriebs wird auch die Implementierung einer Teststrategie an den Schulen empfohlen, einschließlich des Aufbaus von Strukturen für eine Nachverfolgung möglicher positiver Testergebnisse (S3-Leitlinie "Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle der SARS-COV-2-Übertragung in Schulen").

So können Testverfahren zur COVID-19-Diagnostik dazu beitragen, infizierte Personen zu identifizieren und zu isolieren. Aktuell sind in verschiedenen Bundesländern Massen-Testungen an Schülern und Schülerinnen und Lehrpersonal geplant, um Ausbreitungen an Schulen zu verhindern. Dieses Konzept einer anlasslosen flächendeckenden regelmäßigen Testung an Schulen kann potenziell zur Verhinderung von Infektionsausbreitungen an Schulen beitragen, eine durchdachte umfassende Teststrategie mit Folgeabschätzung ist dabei aber unabdingbar.

Testverfahren
Der PCR-Test weist genetisches Material (RNA) des Virus nach, ist empfindlich, zuverlässig und gilt als Goldstandard für den Nachweis einer Infektion.
Schnellteste erkennen Eiweißbestandteile des Virus, sind aber weniger zuverlässig und empfindlich. Ein positiver Schnelltest muss immer durch einen PCR-Test bestätigt werden. Für beide Testverfahren gilt: Je höher die Viruskonzentration (Viruslast) in der untersuchten Probe, um so verlässlicher ist das Testergebnis. Die Viruslast an der Rachen-/Nasenhinterwand ist am höchsten und steigt in den ersten Tagen nach der Infektion rasch an. Ein tiefer Nasen-/Rachenabstrich sollte durch medizinisches Personal durchgeführt werden.

Die auch durch geschulte Laien durchführbaren Nasenvorhof- / Speichel- / Spuck-/ Gurgelteste sind für Kinder deutlich angenehmer. Um aber eine ausreichende Viruslast im Untersuchungsmaterial zu erreichen, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Dazu gehören Schnäuzen vor dem Nasen-Test, Räuspern vor dem Gewinnen von Material aus dem Mundraum (Material aus dem hinteren Nasen-/Rachenbereich gelangt in den Nasenvorhof bzw. vorderen Mund), Nüchternheit (Essen setzt Viruslast herab), kein Zähneputzen, Verwendung von Mundwasser etc. . Die Herstellerangaben müssen genauestens beachtet werden inkl. der Anleitung zur Aufbereitung des Untersuchungsmaterials und Ablesezeit.
Untersuchungsmaterialien außer dem tiefen Nasenabstrich oder dem Rachenabstrich sind nur unzureichend in unabhängigen Studien evaluiert und die Verlässlichkeit der Ergebnisse ist vor allem für Kinder bisher nicht gesichert.

Prätest-Strategie
Die o.g. Bedingungen sind Voraussetzungen für eine möglichst große Testgenauigkeit. Schnellteste können nur Viruseiweiß ab einer bestimmten Menge im Moment der Materialabnahme erfassen. Man kann bereits infiziert sein ohne ausreichend nachweisbare Viruslast im Testmaterial oder man kann sich auch wenige Stunden nach Testabnahme infizieren und eine klinisch manifeste Erkrankung entwickeln. Daher sind mindestens 2 Teste in der Woche notwendig, um eine ausreichende Sicherheit der individuellen Infektionslage treffen zu können.

Die Organisation von Schnelltesten in Schulen/Kitas ist zwar denkbar, ist aber zeitaufwändig, muss dokumentiert werden, ist datenschutzrechtlich nicht unbedenklich und es besteht eine erhöhte theoretische Infektionsgefahr des anleitenden Lehrpersonals. Ein Vorteil gegenüber Schnelltesten im häuslichen Umfeld (Selbstteste) ist auf der anderen Seite die vorgeschriebene Dokumentation, die zur wissenschaftlichen Evaluation der Infektionsinzidenz an Schulen/Kindertagesstätten genutzt werden kann. Dazu ist allerdings die Verknüpfung der Schnelltestergebnisse mit denen der erforderlichen PCR-Nachtestungen (s.u.) bei positivem Ergebnis notwendig.

Selbstteste zu Hause vor der Schule bergen das Risiko nicht adäquat durchgeführter Testungen und sind nicht dokumentationspflichtig. Selbsttestungen durch die Kinder halten wir für nicht praktikabel und auch nicht für sicher.

Testgenauigkeit
Ein Test sollte einerseits eine Person mit Infektion korrekt erkennen und nicht fälschlicherweise negativ einstufen (Sensitivität). Andererseits sollte der Test eine Person ohne Infektion korrekt zu erkennen und nicht fälschlicherweise positiv einstufen (Spezifität).
Kein Test ist zu 100% zuverlässig. Die nach den Vorgaben des Paul- Ehrlich-Instituts zugelassenen Schnellteste müssen bei symptomatischen Patienten eine Sensitivität von mindesten 80 % und eine Spezifität von 97 % aufweisen. Das bedeutet, dass 20 % der Infizierten durch einen Schnelltest nicht als infiziert erkannt werden. In einem aktuellen Cochrane Review beträgt die Rate falsch negativer Schnelltests bei asymptomatischen Patienten sogar mehr als 40% (aktualisierter Cochrane Review zu Schnelltests für den Nachweis einer SARS-CoV-2-Infektion).
Diese Patienten wiegen sich in einer falschen Sicherheit, die Gefahr, dass sie die Hygieneregeln (AHA-L) nicht konsequent befolgen, ist hoch.

Ein zusätzliches Problem kann die Spezifität sein. Wenn wir von einer tatsächlichen Inzidenz von 100/100000 ausgehen, sind 9990 von 10 000 Personen nicht infiziert. Von diesen 9990 haben bei einer Spezifität des Schnelltestes von 98% 9790 ein richtig negatives Testergebnis, während 200 Personen ein falsch positives Testergebnis haben, obwohl sie nicht infiziert sind. Alle positiven Testergebnisse müssen durch PCR-Kontroll-Teste bestätigt werden. Bis dahin müssen die Personen (und ihre Kontaktpersonen der 1. Kategorie) mit entsprechendem Aufwand für die Familien umgehend isoliert werden.
In unserem Beispiel werden 208 Personen positiv getestet, von denen nur 8 (3,85%) tatsächlich infiziert sind. Die aktuell mediale Kommentierung von Schnelltesten lässt dieses Problem völlig außer Acht. Nur bei einer hohen Prätestwahrscheinlichkeit steigt die Rate der richtig positiv Getesteten.

Die Prätestwahrscheinlichkeit lässt sich steigern, indem nur anlassbezogene Teste (Testen von symptomatischen Patienten, Testen im Rahmen von regionalen oder lokalen Ausbruchssituationen) durchgeführt werden. In diesem Zusammenhang verweisen wir auch auf eine entsprechende Modellrechnung des Robert-Koch-Instituts.


Post-Test-Strategie
Es muss eine umfangreiche verlässliche Post-Test-Logistik zur Verfügung stehen mit definierten PCR-Test-Anbietern, die in der Lage sind, Kontroll-Testergebnisse innerhalb kurzer Zeit zu liefern, zuverlässig zu kommunizieren und dokumentieren. Der Verweis nach einem positiven Schnelltest - „gehen Sie zum Hausarzt oder rufen 116117 oder das Gesundheitsamt an“ - wird die Getesteten bzw. die Einrichtung, die den Test veranlasst hat (Schule, Kita), mehr oder weniger hilflos zurücklassen.
Bei 12 Mio SchülerInnen und 780000 LehrerInnen in Deutschland, die regelmäßig zwei Mal in der Woche getestet werden, ergibt sich bei einer Spezifität von 98 % eine Summe von 511000 falsch positiv getesteten Personen in einer Woche, die in ein Post-Testverfahren eingeschleust werden müssen und bis zum Ergebnis des PCR-Kontrolltestes isoliert werden müssen (inkl. Kontaktpersonen der 1. Kategorie). Wenn die Posttest-Logistik dann nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung steht, wird das Vertrauen der Bevölkerung in die Schnellteste sehr rasch verloren gehen.

Bei einer Wahrscheinlichkeit von über 96 %, zwar im Schnelltest positiv zu sein, im PCR-Kontrolltest aber negativ zu sein, ist eine umfassende Aufklärung über diese Limitationen der Schnellteste vorher zwingend notwendig, bevor man anlasslose Massen-Schnellteste in Schulen/Kindertagesstätten einführt.


Fazit
- Schnellteste zeigen bei asymptomatischen Patienten einen hohen Anteil falsch negativer und bei Massentests eine signifikant hohe Zahl falsch positiver Befunde.
- Bei einem falsch negativen Testergebnis, das bei gut 40% asymptomatischer Patienten zu erwarten ist, werden präventive Strategien wie die AHA-L-Regeln möglicherweise nicht konsequent umgesetzt.
- Ein positives Testergebnis wird bei den aktuellen Inzidenzzahlen nur zu etwa 4 % im PCR-Kontrolltest bestätigt. Damit werden Grundrechte unverhältnismäßig eingeschränkt. Das Vertrauen in ein valides Testergebnis wird bei dieser geringen Quote in der Bevölkerung sinken.
- Eine praktikable Prä- und Posttest-Logistik mit hohem Ressourcenverbrauch auf verschiedenen Ebenen muss aufgebaut werden und verlässlich funktionieren.
- Eine ausführliche Aufklärung der Bevölkerung über die Limitationen von anlasslosen flächendeckenden Massentestungen ist unabdingbar.
- Ohne eine begleitende Analyse der personenbezogenen Daten zur Testqualität (Anzahl falsch positiver und falsch negativer Schnelltests), zur Symptomatik zum Testzeitpunkt und während der Folgewoche (Eintreffen der PCR-Bestätigungstests) erscheint der Aufwand in Anbetracht der niedrigen Nachweisraten unverhältnismäßig hoch.
- Ein Konzept zu anlassbezogenen Testungen bei symptomatischen Patienten und/oder bei regionalem Ausbruchsgeschehen mit hoher Prätestwahrscheinlichkeit ist aktuell sinnvoller.

Alternativ sollte die Möglichkeit gepoolter PCR-Teste geprüft werden; d.h. Testen des zusammengeschütteten Untersuchungsmaterials aller SchülerInnen in einem Klassenverbund in einem gemeinsamen PCR-Ansatz mit anschließenden Einzeltesten nur bei Positivität des Pool-Testes.


Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) und des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ).

Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen e.V. (BVKJ)

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Telefon: 0221 – 68 909 0
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Präsident: Dr. med. Michael Hubmann
Referent Gesundheitspolitik: Simon K. Hilber
Telefon: 030 280 475 10
E-Mail: simon.hilber@bvkj.de

Lobbyregister beim Deutschen Bundestag: Registernummer R000638

Kontakt

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