Diese Stellungnahme fasst die gemeinsame Position der folgenden Verbände und Fachgesellschaften, die in der operativen und konservativen Kinder- und Jugendmedizin tätig sind, zusammen:
- Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVKJ)
- Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ)
- Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI)
- Gesellschaft der Kinderkrankenhäuser und Kinderabteilungen in Deutschland (GKinD)
- Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin (GNPI)
- Verband Leitender Kinder- und Jugendärzte und Kinderchirurgen in Deutschland (VLKKD).
Wir begrüßen eine Neuordnung der Notfallversorgung in Deutschland. Die Notfallversorgung vom Rettungsdienst angefangen über den vertragsärztlichen Notdienst (im Sinne des Bereitschaftsdienstes der KVen aufgrund des Sicherstellungsauftrages, im weiteren Text als „Notdienst“ bezeichnet) und die Notaufnahmen stehen vor großen demographischen, medizinischen und gesundheitsökonomischen Herausforderungen. Ziel muss es deshalb sein, einer Fehlsteuerung der Patientinnen und Patienten und einer Überlastung der Notfallstrukturen entgegenzuwirken sowie die Vernetzung der Versorgungsbereiche zu verbessern.
Die tatsächlichen medizinischen Bedarfe und der verantwortungsbewusste Einsatz von knappen Personalressourcen im Rahmen des Fachkräftemangels in allen Gesundheitsberufen müssen daher zur Leitschnur einer Reform werden. Für eine effektivere Nutzung der ärztlichen Ressourcen ist es erforderlich, dass Leistungen nicht mehr bedürfnisorientiert, sondern bedarfsorientiert erbracht werden.
Fest steht: Sowohl in die Notaufnahmen der Kliniken und Kinderkliniken als auch in den vertragsärztlichen Notdienst kommen zu viele Patientinnen und Patienten, deren Versorgung in der ambulanten Regelversorgung erfolgen könnte, oder die keiner akutmedizinischer Versorgung bedürfen. Dadurch sind die Wartezeiten für diejenigen Patientinnen und Patienten, die dringend und notfallmäßig auf ambulante Hilfe und ggf. eine stationäre Behandlung angewiesen sind, sehr häufig zu lang. Eine zukunftsorientierte Neuordnung der Notfallversorgungsstrukturen muss aufgrund der Mangelsituation des Fachpersonals in allen Gesundheitsberufen daher eine konsequente
Zugangssteuerung der Hilfesuchenden in die richtige Versorgungsebene einschließen.
Ein großer Anteil aller Kontakte im vertragsärztlichen Notdienst und den Notfallaufnahmen betrifft Kinder und Jugendliche. Es ist erfreulich, dass Aspekte aus der Kinder- und Jugendmedizin im aktuell vorliegenden Entwurf Berücksichtigung gefunden haben. Insbesondere die separate Berücksichtigung von Kindern und Jugendlichen und ihrer besonderen Belange in der medizinischen Versorgung in Form der Etablierung spezifischer integrierter Notfallzentren für Kinder und Jugendliche (KINZ) an Kliniken für Kinder und Jugendliche inklusive einer Finanzierung der Ersteinschätzung begrüßen wir ausdrücklich. Gut etablierte telemedizinische Strukturen zur Ersteinschätzung für Eltern können zudem den Bedarf für ärztliche Konsultationen reduzieren. Die entsprechenden Strukturen müssen auch hier erst nach klar ausformulierten Vorgaben aufgebaut und eine auskömmliche Finanzierung sichergestellt werden.
Eine Integrierte Leitstelle inkl. einer auch pädiatrisch und kinderchirurgisch fachkompetenten telemedizinischen Ersteinschätzung ist unverzichtbarer Bestandteil der zukünftigen Notfallversorgung. Hierbei ist hervorzuheben, dass durch Etablierung sogenannter Akutleitstellen der Kassenärztlichen Vereinigung, die durch die Änderung des §75 SGB V geregelt werden soll, keine unnötigen Parallelstrukturen geschaffen werden sollen, sondern dringend eine enge Vernetzung von 112 und 116117 im Sinne einer Integrierten Leitstelle verfolgt werden sollte. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang die Festlegungen eines neuen §133a SGB V zum Gesundheitsleitsystem. Die mit dem Aufbau solcher Strukturen verbundenen Kosten sind von den gesetzlichen und privaten Krankenkassen zu tragen. Die Ersteinschätzung gem. §75 (1b) muss für die Versicherten verpflichtenden Charakter haben. Hierfür wird eine standardisierte Abfrage benötigt, die perspektivisch auch KI gestützt erfolgen kann und erfolgen sollte. Ein telefonisches und videounterstütztes ärztliches Versorgungsangebot 24 Stunden täglich getragen „auch durch Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin“ würde die knappen personellen Ressourcen überfordern und ist personell nicht zu realisieren.
Die integrierten Notfallzentren für Kinder (KINZ) sind von der allgemeinen Notfallversorgung (INZ) strukturell, d.h. u.a. baulich zu trennen, die Ablaufprozesse sind den Kindern und Jugendlichen anzupassen. Die strukturelle, finanzielle und bauliche Trennung der Kinder-Notfallversorgung (KINZ) von der allgemeinen Notfallversorgung (INZ) ist ein wichtiges Anliegen der Pädiatrie. Der Aufwand zur Schaffung dieser separaten Strukturen sollte keinesfalls als „marginal“ eingeschätzt werden (vgl. S. 29)sprechende Investitionen müssen über die Landesregierungen finanziert werden. Es bedarf klarer Regelungen und Definitionen zur Finanzierung der angestrebten Strukturen. Hierbei müssen speziell für die Notfallversorgung von Kindern explizite Formulierungen und Finanzierungsvorgaben im Gesetz verankert werden.
KINZ sind an einer Klinik / Fachabteilung für Kinder- und Jugendmedizin möglichst mit Kinderchirurgie anzusiedeln. Die Einrichtung von KINZ an Kliniken und Abteilungen für Kinder- und Jugendmedizin ist dort sinnvoll, wo die Anforderungen nach Stufe 2 oder 3 des § 25 (Modul Kinder) der
Notfallstufenregelungen des G-BA erfüllt werden, um möglichst flächendeckend eine ambulante Notfallversorgung spezifisch für Kinder und Jugendliche zu erreichen.
KINZ sollten in der Notfallstufe 2 und 3 obligat sein, soweit der erweiterte Landesausschuss aufgrund geographischer Nähe zweier Krankenhäuser keine anderweitige Entscheidung getroffen hat. Die Vorhaltung von aufsuchenden Diensten ist - anders als in der allgemeinen Notfallversorgung mit einer zunehmenden Anzahl älterer Menschen - für die Pädiatrie seit vielen Jahren nicht mehr praktiziert und nicht erforderlich.
Die Einrichtung eine pädiatrischen KV-Notdienstpraxis an einem KINZ wird absehbar nicht überall in Deutschland realisierbar sein. In diesem Fall sind lokal individuelle Modelle auf der Basis jetzt gut funktionierender Versorgungsstrukturen und unter Berücksichtigung der regionalen Versorgungsangebote zu entwickeln und vom erweiterten Landesausschuss zu genehmigen.
Gesetzt den Fall, dass ein KV-Notdienst nicht eingerichtet werden kann und die einzige Anlaufstelle die Klinik ist, muss auch für diesen Fall eine ausreichende finanzielle Regelung getroffen werden. Ferner sollte für Kinder und Jugendliche, die in der Fläche kein KINZ in zumutbarer Entfernung erreichen können, das nächstliegende INZ über eine vertraglich vereinbarte telemedizinische Anbindung zu einem KINZ verfügen. Dabei ist dieses aber als Konsultationsangebot für den fachlichen Austausch zwischen INZ und KINZ zu planen, nicht als primäre Anlaufstelle für Patienten und Eltern.
Nach einer initialen und obligaten Triage über die Akutleitstellen, die nach einem auch für Kinder und Jugendliche validierten, einheitlichen Triagesystem die Behandlungsdringlichkeit einschätzt, wird in den KINZ eine zentrale Anlaufstelle für Rettungsdienst und Eltern geschaffen, die entweder eine Direktversorgung oder eine Weiterleitung zur adäquaten Versorgungsebene sicherstellt.
Dabei sollte zwischen vier möglichen Behandlungspfaden differenziert werden:
- es handelt sich um einen Notfall, der sofort in der Klinik oder im ärztlichen Bereitschaftsdienst behandelt werden muss, bzw. eine stationäre Behandlung in einer Klinik für Kinder- und Jugendliche bzw. Klinik für Kinderchirurgie erforderlich macht.
- der Patient ist dringend behandlungsbedürftig und muss innerhalb der nächsten 24 Stunden gesehen werden – entweder in einer Praxis oder z.B. am Wochenende im ärztlichen Bereitschaftsdienst bzw. je nach Absprache in einem KINZ.
- der Patient ist behandlungsbedürftig, kann aber an die Regelversorgung verwiesen werden; die KV-Servicestellen machen Angebote zur weiteren Versorgung.
- der Patient ist im Grunde nicht behandlungsbedürftig und muss nicht an einen Arzt verwiesen werden.
Je nach regionalen Gegebenheiten muss eine niedrigschwellige und unbürokratische Herausgabe von Medikamenten über die KINZ oder nahegelegene Apotheken ermöglicht werden. Die Mitgabe von Medikamenten muss in ausreichendem Maß möglich sein und in der Finanzierung der Medikamentenvorhaltung/ -herausgabe geklärt werden.
Diese Stellungnahme wird unterstützt von:
Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH)
Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI)
Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK)
Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie (GKJR)
Gesellschaft für Neuropädiatrie (GNP)
Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (GPGE)
Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH)
Gesellschaft für Pädiatrische Pneumologie (GPP)
Kontaktdaten:
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ):
Prof. Dr. Ursula Felderhoff-Müser, Präsidentin,
Prof. Dr. Dominik Schneider, Sprecher des Konvents für fachliche Zusammenarbeit
politik@ | dgkj.dewww.dgkj.de
Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen e.V. (BVKJ):
Dr. Michael Hubmann, Präsident
praesidium@ | bvkj.dewww.bvkj.de
Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI):
Prof. Dr. Florian Hoffmann, Präsident elect,
PD Dr. Axel Hübler, Delegierter der DGKJ
praesident.elect@, divi.dewww.divi.de
Gesellschaft der Kinderkrankenhäuser und Kinderabteilungen in Deutschland (GKinD):
Dr. Bernhard Hoch, Geschäftsführer
Bernhard.Hoch@ | gkind.dewww.gkind.de
Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin (GNPI):
Prof. Dr. Florian Hoffmann, Vorstand
mail@ | gnpi.dewww.gnpi.de
Verband Leitender Kinder- und Jugendärzte und Kinderchirurgen Deutschlands (VLKKD):
Prof. Dr. Andreas Trotter, Präsident
PD Dr. Andreas Artlich, Generalsekretär
generalsekretaer@ | vlkkd.dewww.vlkkd.de