In ihrer neuesten Stellungnahme fordert die „Regierungskommission Krankenhaus“, die Sektorengrenzen des deutschen Gesundheitswesens zu überwinden. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen e.V. (BVKJ) begrüßt den Ansatz, ein echtes Primärarztsystem aufzubauen und die Versorgung regional gemeinsam für den ambulanten und den stationären Bereich zu planen. Dabei dürfen die Stärken des deutschen Gesundheitssystems, die unter anderem in einer engmaschigen vertragsärztlichen Versorgung liegen, aber nicht gefährdet werden.
Dr. Michael Hubmann, Präsident des BVKJ, betont: „Aus Sicht des BVKJ ist es sinnvoll, die Rolle des hausärztlichen Sektors als erste Anlaufstelle und Lotse im Gesundheitssystem zu stärken. Kinder- und Jugendärzt*innen sowie Hausärzt*innen können beraten, behandeln, überweisen oder einweisen, je nach individuellem Bedarf. Sie können mit ihrem Team auch die Koordination und Kontinuität der Versorgung über die Sektorengrenzen hinweg sicherstellen. Wir halten es auch für den richtigen Ansatz, die Versorgung zwischen Anstellung im Klinikum und der vertragsärztlichen Versorgung zu flexibilisieren. Wenn dies gelingt, wäre dem Bundesgesundheitsminister ein großer Wurf gelungen.“
Der Verband sieht aber auch deutliche Kritikpunkte.
„Wie alle Stellungnahmen der Kommission leidet auch diese darunter, dass die Expert*innen nur die Klinikperspektive kennen und aus ihr auf das Gesundheitssystem blicken. Weil sie wissen, dass die notwendigen Reformen der Kliniklandschaft keinen Platz für kleinere Häuser lassen, suchen sie nach einem Weg, der diese in ihrer Existenz erhält. Dieser Rettungsanker soll die Ambulantisierung sein. Damit wird aber das Pferd von hinten aufgezäumt. Denn es ist der falsche Ansatzpunkt, Strukturen, die sich als zu teuer und als nicht erhaltenswert erwiesen haben, auf die ambulante Versorgung überzustülpen. Die Level-Ii-Kliniken werden nicht in der Lage sein, einen relevanten Anteil der täglichen Menge notwendiger Behandlungen abzudecken. Die bestehende erstklassige ambulante fachärztliche Versorgung wird durch solche Gedankenspiele unnötig gefährdet. Durch sie gelingt es heute beispielsweise, 93 Prozent der pulmologischen Fälle ambulant vertragsärztlich abzudecken. Der medizinische Fortschritt ermöglicht es, die Ambulantisierung immer stärker voranzutreiben. Dies muss sich auch in der Verteilung der finanziellen Mittel widerspiegeln.“
Darüber hinaus empfiehlt das Gutachten der Regierungskommission, die „doppelte Facharztschiene“ abzubauen. „Das lehnen wir ab, weil es zu einer Verschlechterung der Versorgung führen würde. Die Gesundheitsversorgung unserer Patient*innen wird nur gemeinsam oder gar nicht gelingen. Im Übrigen ist es mehr als bedauerlich, wenn von der Regierungskommission das Wort von der ‚doppelten Facharztschiene‘ undifferenziert aufgenommen wird. Die fachärztliche Versorgung am Krankenhaus erfolgt komplementär zum niedergelassenen Bereich und nicht doppelt. Als Ärztegruppe wären wir zwar nicht von der Abschaffung betroffen, unsere Patient*innen aber sehr wohl“, betont Hubmann.