Der Berufsverband der Kinder und Jugendärzt*innen e.V. (BVKJ) unterstützt grundsätzlich das Anliegen der Bundesregierung, die Notfallversorgung in Deutschland zu reformieren, sieht jedoch noch dringenden Nachbesserungsbedarf am vorliegenden Gesetzentwurf.
Die Fehlinanspruchnahme der Notfallversorgungsstrukturen durch medizinisch nicht dringend notwendige Konsultationen sorgt für eine Dysfunktionalität des Systems und gefährdet die Versorgung von Patient*innen in dringlichen Notlagen. Daher sind die vorgeschlagenen Steuerungsmechanismen einer strukturierten Ersteinschätzung, die vor Inanspruchnahme der Notfallstrukturen zu erfolgen hat, zielführend und richtig.
„Die Reform wird sich daran messen lassen, inwiefern tatsächlich eine effiziente Patientensteuerung zugunsten einer raschen Versorgung dringlicher Notfälle, gelingt. Das bisherige Verhalten der Patient*innen, die teils unkoordiniert die Notfallversorgung einer ambulanten Versorgung vorzogen, durch den Aufbau einer neuen Parallelstruktur zu goutieren, ist aus unserer Sicht der falsche Weg", betont BVKJ-Präsident Dr. Michael Hubmann. „Unter dem Eindruck der knappen Personalressourcen von Ärzt*innen, MFA und Pflegenden muss sich der Reformansatz an den tatsächlichen medizinischen Bedarf und nicht an dem subjektiv empfundenen medizinischen Bedürfnissen der Patient*innen richten.“, so Dr. Hubmann weiter. Andernfalls wird wieder eine Chance verpasst, durch Selektion der nicht dringlichen Versorgungsanliegen die Notfallstrukturen spürbar zu entlasten.
Bei den geplanten integrierten Notfallzentren (INZ) und vor allem für Kinder in sogenannten KINZ gilt es bereits heute gut funktionierende Strukturen vor Ort zu berücksichtigen und einzubinden und nicht, wie schon oft erlebt, schablonenartig Versorgungsstrukturen zu Lasten regional etablierter Lösungen aufbauen zu wollen.
Wie allerdings unter dem Blickwinkel des Personalmangels künftig eine 24/7 telemedizinisch und aufsuchende notdienstliche Versorgung gerade in der Kinder- und Jugendmedizin aufgebaut werden soll, bleibt schleierhaft. Realität in einer durchschnittlichen Kinder- und Jugendarztpraxis sind zu Stoßzeiten 90 Patient*innenkontakte täglich. Diese Sprechstundenversorgung ist mit einer zusätzlichen Verpflichtung der Kinder- und Jugendärzt*innen zur Teilnahme am Notdienst in einem KINZ schlicht und einfach nicht zu vereinbaren. Mit dieser Reform werden erneut junge Kolleg*innen von einer Niederlassung abgeschreckt.
Darüber hinaus ist ein aufsuchender Notdienst während der Sprechzeiten der Praxen unsinnig und gefährdet sogar die bestehende Versorgung durch Haus- und Heimbesuche, da viele Praxen diese doppelte Versorgung nicht werden mittragen können.
„Auch die Bundesregierung bleibt eine Antwort auf die Frage, woher das ärztliche Personal für diese niederschwellige „Rund-um-die-Uhr-Betreuung“ kommen soll, weiterhin schuldig. Denn eins ist auch klar, die Ärzt*innen können eben auch nur an einem 24/7 Fahrdienst teilnehmen oder ihre Patient*innen in der Sprechstunde behandeln. Beides wird nicht gelingen. Insofern bedarf es im parlamentarischen Verfahren noch zahlreicher Nachjustierungen. Die Reform der Notfallversorgung bietet die Chance, durch passgenaue Steuerung die Not- und Rettungsdienste zu entlasten und dadurch ernsthaft gefährdete Patient*innen schneller und besser versorgen zu können. Durch den Aufbau von Doppelstrukturen werden aber knappe Ressourcen genau dieser Versorgung entzogen.
Der BVKJ appelliert an die Bundesregierung, den Entwurf zur Reform der Notfallversorgung grundlegend zu überarbeiten. Nur so kann eine nachhaltige Verbesserung der Notfallversorgung in Deutschland erreicht werden, um den notwendigen Reformzweck tatsächlich zu erfüllen.“ ist sich Dr. Hubmann sicher.