Stellungnahme

Stellungnahme zum Gesetzentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit

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Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVKJ) begrüßt das Ansinnen, insbesondere aus den Erfahrungen der Corona-Pandemie, die Strukturen der Öffentlichen Gesundheit und Prävention zu stärken. Der BVKJ ist überzeugt, dass es notwendig ist, die Öffentliche Gesundheit in einem umfassenderen Gesetzeswerk grundlegend neu aufzustellen und hier weitreichende und innovative Impulse zu setzen.  Die Schaffung eines neuen Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) bleibt hinter solchen Erwartungen zurück und wirft in der konkreten Form des Entwurfs Fragen bezüglich seiner Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit auf.

Zu § 1 und §2 Strukturen

Aus struktureller und organisatorischer Sicht weiß die Schaffung eines neuen Instituts in dieser Form nicht überzeugen. Es fehlt an einem erkennbaren Mehrwert gegenüber der derzeitigen Konstellation und dem Nachweis, dass die vorgesehenen Aufgaben effektiv nicht von bestehenden Einrichtungen, wie wir sie mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und dem RKI vorfinden, übernommen werden können.

Die offenbar intendierte Eingrenzung der Zuständigkeiten des RKI auf übertragbare Krankheiten und mit ihnen in Zusammenhang stehende Erkrankungen wird in dem Gesetzentwurf nicht überzeugend begründet. Nicht nur vergangene Pandemien weisen auf die komplexe Verbindung zwischen infektiösen und nicht-infektiösen Krankheiten hin. Der BVKJ befürchtet, dass durch die neue Organisation von Zuständigkeiten etablierte Strukturen beim Infektionsschutz geschwächt werden könnten. Wir stellen bereits heute fest, dass Brüche im Monitoring von Impfquoten den dringend notwendigen umfassenden Blick auf die Gesamtlage in Deutschland erschweren. Darüber hinaus ist es aus unserer Sicht sinnvoll, wenn Synergien zwischen Forschung, Gesundheitsmonitoring, Gesundheitsberichterstattung, Gesundheitskommunikation und Gesundheitsförderung genutzt werden können. Das RKI sollte weiterhin hierzu in die Lage versetzt werden.

Der BVKJ begrüßt, dass das Bundesinstitut auch die bestehenden Aufgaben der BZgA aus dem Geschäftsbereich des BMFSFJ wie die Sexualaufklärung, den präventiven Kinderschutz, die Frühen Hilfen und den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt übernimmt.

Unabhängigkeit

Die Unabhängigkeit des Bundesinstituts, wie auch des Robert-Koch-Instituts (RKI) gegenüber politischer Einflussnahme des Bundesgesundheitsministeriums sollte gestärkt werden. Dies würde ihre Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung stärken. Es hat sich nicht zuletzt im Zuge der Corona-Pandemie gezeigt, wie sinnvoll eine Trennung der politischen und wissenschaftlich-epidemiologischen Lagebeurteilung ist. Es wäre aus Sicht des BVKJ zu begrüßen, wenn die Aufsichtskompetenzen des Bundesministeriums gegenüber dem neuen Bundesinstitut analog zum Bundesinstitut für Risikobewertung, insbesondere bei seinen wissenschaftlichen Bewertungen und Forschungen beschränkt würden. Dass grundsätzlich eine größere Weisungsunabhängigkeit von Institutionen des Bundes gegenüber politischer Einflussnahme bei der Ausübung der Befugnisse, die ihnen nach dem Gesetz zustehen, möglich ist, scheinen etwa der Bundesrechnungshof oder die Bundesbank zu zeigen.

Zu § 1 Namensgebung

Die Namensgebung des Instituts ist aus Sicht des BVKJ nicht gelungen. Zum einen wäre es sinnvoll, den Präventionsgedanken möglichst weit zu fassen und nicht nur auf die Prävention in der Medizin zu beschränken. Gesundheitsprävention und -förderung sollte nach Möglichkeit soziale, ökonomische und umweltbedingte Faktoren, die die Gesundheit beeinflussen, mitberücksichtigen und ein solcher offener Ansatz sollte sich auch im Namen eines Instituts widerspiegeln. Zum anderen legt ein modernes Verständnis von Public Health bzw. öffentlicher Gesundheitskommunikation nahe, dass eine Kommunikationsstrategie im Sinne eines Top-Down-Ansatzes, bei der Experten Informationen vermittelten und das Volk als passiver Empfänger dieser Informationen „aufgeklärt“ wird, heute nicht mehr angebracht ist. Der BVKJ empfiehlt, eine Namensgebung, die als paternalistisch und belehrend verstanden werden kann, zu vermeiden. Der BVKJ regt an, sich am Koalitionsvertrag zu orientieren und den Namen „Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit“ zu wählen.

 

Zu § 2 Aufgaben des Bundesinstituts

In den Aufgaben eines Instituts für öffentliche Gesundheit sollte sich widerspiegeln, dass Prävention nicht nur die persönliche Verantwortung und Aufgabe des Individuums ist, sondern Verhältnisprävention und damit die soziale, politische und wirtschaftliche Dimension mindestens ebenso wichtig ist. Ziel sollte sein, eine gesunde Lebensweise aller Menschen zu fördern, ihre Gesundheit zu erhalten und gleichzeitig die gesundheitliche Chancenungleichheit zu verringern. Zu den Aufgaben des Bundesinstituts sollen laut Gesetzentwurf insbesondere Beobachtung, Kommunikation, Kompetenzstärkung und die Entwicklung von Leitlinien und Standards gehören.

 

Verhältnisprävention

Der BVKJ fordert, neben der Beobachtung auch die Bewertung der gesundheitlichen Rahmenbedingungen in das Aufgabenspektrum des Bundesinstituts aufzunehmen.

Weiterhin sind die Entwicklung von verhältnispräventiven Ansätzen und die Beratung der Bundesregierung hierzu explizit in den Aufgabenkatalog des Bundesinstituts zu übernehmen. Dabei ist zu beachten, dass die wichtigsten und effektivsten primärpräventiven Maßnahmen unter Umständen Reglungen erforderlich machen, die nicht in unmittelbarer Verantwortung des Gesundheitswesens liegen. Dass es sich bei der Öffentlichen Gesundheit um eine Querschnittaufgabe handelt, mit Wechselbeziehungen zu Bildung, Ernährung, Schul- und Arbeitsleben, bis hin zur Umwelt-, Klima- oder Wirtschaftspolitik (Health in all Policies), sollte sich in der Aufgabenstellung widerspiegeln.

 

Zu § 2 Abs. 2 Nr. 3 Vernetzung

Damit das neue Institut seine volle Wirkung entfalten kann, muss eine stärkere Vernetzung der Akteure der Öffentlichen Gesundheit in einem zukünftigen Institut verankert werden. Dabei sollte der Sachverstand derjenigen institutionalisiert einfließen, die bei der Umsetzung von Health Policy Verantwortung tragen, hierzu gehört insbesondere auch die Ärzteschaft. Initiativen, die etwa die die Ernährungsprävention, die Impfprävention, die Cannabis- und Alkoholprävention, zum Ziel haben, können von einer strukturierten Einbindung der Ärzteschaft mit ihrem Sachverstand nur profitieren, dem Grunde nach ist diese Einbindung aus unserer Sicht unverzichtbar.

Statt auf eine „freiwillige Vernetzung“ von Akteuren der Öffentlichen Gesundheit und der Öffentlichen Gesundheitsdienste zu bauen, sollte die gemeinsamen Verantwortungsübernahme verbindlicher in konkreten Strukturen etabliert werden.

 

Kinder- und Jugendpanel

Aus Sicht der Kinder- und Jugendmedizin begrüßen wir den Aufbau eines Kinder- und Jugendpanels, um unverzichtbare bundesweit repräsentative Daten zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen bereitzustellen. In der Vergangenheit hatte das Panel immer wieder Anlass gegeben, die Kindergesundheit auf die Tagesordnung zu bringen und insbesondere bei dem Thema gesundheitliche Ungleichheit den Finger in die Wunde zu legen. Die KiGGS-Welle 2 stammt aus dem Jahre 2017 – hier ist unbedingt eine Fortführung und Aktualisierung der Studie notwendig.

Dabei wird darauf zu achten sein, die Studie mit ausreichenden Mitteln auszustatten. Nur so wird es möglich sein, auf der Basis wissenschaftlich fundierter Informationen und guter und belastbare Daten Aussagen zu Trends der gesundheitlichen Lage von Kindern und Jugendlichen, insbesondere nach der Pandemie, zu treffen und gesundheitspolitische Entscheidungen und Maßnahmen in ihrem Sinne zu entscheiden.

 

Prävention

Es wäre aus Sicht der Kinder- und Jugendmedizin äußerst wünschenswert, wenn die Gesetzesinitiative dazu genützt würde, präventive Maßnahmen insgesamt deutlich zu intensivieren. Hierbei wäre es aus Sicht der Kinder- und Jugendmedizin wichtig, insbesondere die Steigerung der Impfquoten in der Bevölkerung in den Blick zu nehmen.

Impfungen gehören zu den wirksamsten präventiven Maßnahmen. Sie schützen die Geimpften sicher vor ansteckenden zum Teil todbringenden Krankheiten. Schutzimpfungen sind aber nicht nur eine private, sondern eine der gesamten öffentlichen Gesundheit nützende Maßnahme. Das Ziel des Erreichens deutlich höherer Durchimpfungsraten und die Eliminierung einzelner Krankheitserreger in Deutschland muss dringend in den Mittelpunkt politischen Handels geraten. Die Einführung eines neuen Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit gäbe dazu Anlass, das politische Bekenntnis hierzu zu erneuern. Wenigstens ist hier aber an die Entwicklung zielgruppenspezifischer Kampagnen zu denken, die unterschiedliche Altersgruppen und soziale Schichten erreichen können.

Digitalisierung

Aus Sicht des BVKJ muss im Zuge einer Neuaufstellung des Öffentlichen Gesundheitswesens dringend das Thema der digitalen Vernetzung angegangen werden. Die Erfahrung der Kinder- und Jugendärzt*innen in der Corona-Pandemie waren von fehlenden Strukturen auf Bundesebene und einem unzureichenden Meldewesen geprägt. Dies führte in den Praxen zu einem unzumutbaren bürokratischen Aufwand und in den Gesundheitsämtern zu massiver personeller Überlastung.

Die Kommunikation über zentrale Entscheidungen für öffentlichen Gesundheit geschah ohne Einbindung der Akteure, die für die Umsetzung zuständig waren, insbesondere die Ärzteschaft, so dass Informationen oftmals erst aus der Presse zu entnehmen waren. Das Berichtwesen über alle Dimensionen des Pandemiegeschehens aus den Praxen an den Öffentlichen Gesundheitsdienst war oft zeitverzögert und vermutlich auch unvollständig. Symptomatisch, dass hierfür das Fax dienen sollte.

Der BVKJ hält es für dringend geboten, dass die Chance einer Umstrukturierung auch dafür genutzt wird, ein einheitliches digitales Meldewesen aufzubauen, dass optimalerweise direkt aus den Arztinformationssystemen personalisierte Daten an das Gesundheitsamt und anonymisierte Daten an das Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit / RKI liefert.

Eine Anbindung des Öffentlichen Gesundheitswesens an das KIM-System, dessen Nutzung für die Arztpraxen verpflichtend ist, wäre dringend erforderlich.

 

 

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