Politik & Presse
09.08.2024 Stellungnahme

Stellungnahme zum Referentenentwurf einer Verordnung zum Anspruch auf Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe gegen Respiratorische Synzytial Viren

Vorbemerkung

Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat am 27. Juni 2024 die Prophylaxe von Erkrankungen durch Respiratorische Synzytialviren (RSV) durch passive Immunisierung mit Nirsevimab für alle Neugeborenen und Säuglinge in deren erster RSV-Saison empfohlen. Der jetzt vorliegende Entwurf einer Rechtsverordnung soll den Anspruch aller gesetzlich versicherten Kinder auf die RSV-Prophylaxe feststellen.

Der BVKJ e.V. begrüßt die Empfehlung der STIKO ausdrücklich. Ebenso ausdrücklich unterstützen wir die geplante Rechtsverordnung des BMG dahingehend, dass hier ein gesetzlicher Anspruch für gesetzliche Versicherte Säuglinge auf die RSV-Prophylaxe festgelegt wird. Der eigentliche Referentenentwurf ist aus unserer Sicht nicht zu beanstanden. Allerdings werfen die Einleitung (unter "B. Lösung") und die Begründung (in "A. Allgemeiner Teil II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs") erhebliche Fragen auf und geben Anlass zur Kritik. Die hier getroffene Feststellung, dass "vertragsärztliche Leistungen im Zusammenhang mit der [RSV-Prophylaxe][...] durch die Versicherten- und Grundpauschalen abgebildet" seien und es "insofern [...] keiner Änderung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes" bedürfe, weisen wir als unzutreffend zurück. Die Rechtsverordnung kann lediglich die Ansprüche der Versicherten, nicht jedoch die Bewertung vertragsärztlicher Leistungen regeln (siehe unten).

Um jedoch eine zeitnahe Umsetzung der STIKO-Empfehlung möglichst noch mit Beginn der diesjährigen RSV-Saison in den Wintermonaten zu ermöglichen, ist die zeitnahe Klärung der Finanzierungsfragen für die erheblichen zusätzlichen Aufwände für die mit der Prophylaxe betrauten pädiatrischen und geburtshilflichen Kliniken sowie kinder- und jugendärztlichen Praxen unerlässlich.

Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf die ebenfalls vorliegenden Stellungnahmen der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (DGPI), der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), die durch den BVKJ e.V. unterstützt werden.

1. Hintergrund der Empfehlung

Wie in der Begründung der Rechtsverordnung richtig dargestellt, handelt es sich bei Respiratorischen Synzytial-Viren um weltweit verbreitete Erreger von akuten Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege. Die Infektionen treten vorwiegend in den Wintermonaten auf und gefährden vor allem junge Säuglinge aufgrund der besonderen Vulnerabilität und anatomischen Verhältnisse in den ersten Lebensmonaten. Daher kommt es vor allem in dieser Altersgruppe zwischen Oktober und März zu einer Häufung von engmaschig kontrollbedürftigen ambulanten Verläufen und notwendigen Hospitalisierungen. Eine gezielte Therapie steht nicht zur Verfügung. Die betroffenen Kinder benötigen neben intensiver Überwachung oft Sauerstoff- und intravenöse Flüssigkeitsgabe. Immer wieder kommt es zu schwer verlaufenden Infektionswellen, wie zuletzt im Winter 2022/23 mit gleichzeitigem gehäuftem Auftreten von RSV- und Influenzainfektionen. Gerade im Herbst und Winter sind kinder- und jugendärztliche Praxen und pädiatrische Kliniken regelmäßig durch die Versorgung von akut erkrankten Patient*innen massiv belastet. RSV-Infektionswellen können dann - wie 2022/23 - zu einer Dekompensation vor allem der stationären pädiatrischen Versorgung führen, was wiederum die ambulante Versorgung in den Praxen gefährdet. Die Einführung der allgemeinen RSV-Prophylaxe mit Nirsevimab kann nach den vorliegenden Daten hier in Zukunft zu einer Entlastung und Sicherung der Versorgung beitragen.

2. Probleme der praktischen Umsetzung in den Kliniken

Die STIKO empfiehlt, bei von Oktober bis März geborenen Kindern (also während der "RSV-Saison") die Immunisierung mit einer einmaligen Gabe von Nirsevimab möglichst bald nach der Geburt in der geburtshilflichen Klinik oder Kinderklinik durchzuführen, um einen raschen Schutz vor schweren RSV-Infektionen zu erreichen.

Dabei ist zu bedenken, dass die pädiatrischen Kliniken - wie die pädiatrischen Praxen - besonders in diesem Zeitraum durch das vermehrte Aufkommen akut infektiös erkrankter Patient*innen besonders belastet sind. Die Finanzierung des notwendigen zusätzlichen Personalaufwandes und der monoklonalen Antikörperlösung sind bislang völlig ungeklärt.
Das vom BMG vorgeschlagene NUB-Verfahren erscheint gerade für die in geburtshilflichen Abteilungen betreuten gesunden Neugeborenen wenig praktikabel. Auch stehen dort oft keine Fachärzt*innen für Pädiatrie für die Versorgung zur Verfügung. Es ist daher zu befürchten, dass die Immunisierung gesunder Neugeborener in den Kliniken häufig unterbleiben wird und dann möglichst zeitnah in den - durch die Infektsaison ebenfalls zusätzlich stark belasteten - kinder- und jugendärztlichen Praxen durchgeführt werden müsste.

Wir verweisen hierzu auch auf die vorliegenden Stellungnahmen von DGPI und DGKJ.

3. Probleme der praktischen Umsetzung in den pädiatrischen Praxen

Die in den Monaten April bis September geborenen Kinder sollen nicht kurz nach der Geburt, sondern in den Wochen zu Beginn der RSV-Saison in den kinder- und jugendärztlichen Praxen mit Nirsevimab immunisiert werden, um einen bestmöglichen Schutz zu gewährleisten ("Catch-Up"). Das bedeutet in der Praxis, dass innerhalb weniger Wochen eine halbe Geburtskohorte (aktuell ca. 350.000 Kinder in Deutschland) meist zusätzliche Impftermine erhalten müssen. Je nachdem, wie viele Kinder tatsächlich im Laufe der Saison in den Geburtskliniken immunisiert werden können, kommen somit in Herbst und Winter bis zu 500.000 anspruchs¬berechtigte Kinder auf die Praxen zu. Da es sich um eine neue Maßnahme handelt, die der Bevölkerung nicht geläufig ist und der Eltern bei z. T. sehr jungen Kindern informiert zustimmen müssen, wird ein erheblicher individueller Beratungsaufwand erforderlich sein. Der Organisationsaufwand für die Praxen steigt gegenüber Standardimpfungen erheblich, weil Nirsevimab nach aktuellem Stand nicht als Impfstoff über Sprechstundenbedarf bezogen werden kann, sondern individuell als Medikament verordnet und beschafft werden muss. Die Impfungen für die Catch-Up-Kohorte fallen in wenige Wochen im Herbst, in denen die Belastung der Praxen durch dann wieder verstärkt auftretende Infektionskrankheiten ohnehin sehr hoch ist. Praktisch werden kaum ausreichend freie Termine für die rasche Immunisierung der berechtigten Kinder zur Verfügung stehen, wenn die reguläre pädiatrische Versorgung nicht gefährdet werden soll. Viele Praxen würden - wie während der Corona-Pandemie - zusätzliche Impfsprechstunden einrichten müssen, die mit zusätzlichen Kosten verbunden wären. Hinzu kommen während der Herbst- und Wintermonate diejenigen Neugeborenen, die nicht in einer Klinik geboren oder in der Geburtsklinik nicht immunisiert wurden.

Die organisatorischen Herausforderungen sind also ohnehin sehr groß, wenn eine Umsetzung der STIKO-Empfehlung zeitnah noch zu Beginn der diesjährigen RSV-Saison umgesetzt werden sollen. Neben der Frage des einfachen Bezugs von Nirsevimab für die Praxen ist vor allem die Regelung einer auskömmlichen und angemessenen Finanzierung des vertragsärztlichen Aufwandes unerlässlich. Diese Regelung kann jedoch nicht im Rahmen einer Rechtsverordnung nach §20i Abs. 3 Satz 1 SGB getroffen werden. Die Regelung der vertragsärztlichen Vergütung obliegt gemäß §87 SGB V dem Bewertungsausschuss.

Wir verweisen hierzu ausdrücklich auf die vorliegende Stellungnahme der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).

4. Rechtliche Einschätzung

Der vorliegende Text der Rechtsverordnung regelt den Anspruch gesetzlich versicherter Kinder auf den Anspruch einer einmaligen Immunisierung mit Nirsevimab im ersten Lebensjahr.
Er enthält keine Aussagen zur Vergütung der Leistungen in vertragsärztlichen Praxen oder Kliniken und ist insofern nicht zu beanstanden.

Allerdings wird in der Einleitung (unter "B. Lösung") und in der Begründung (in "A. Allgemeiner Teil II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs") behauptet, dass "vertragsärztliche Leistungen im Zusammenhang mit der [RSV-Prophylaxe][...] durch die Versicherten- und Grundpauschalen abgebildet" seien und es "insofern [...] keiner Änderung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes" bedürfe. Abgesehen davon, dass das BMG für die Bewertung vertragsärztlicher Leistungen im Rahmen einer Rechtsverordnung nach §20i Abs. 3 Satz 1 SGB V keine Regelungskompetenz hat und diese Bewertung daher aus Einleitung und Begründung der "RSV-Prophylaxeverordnung" zu streichen ist, ist sie sachlich und rechtlich falsch.

Eine Vergütungsregelung sieht der Referentenentwurf des BMG nicht vor. Für eine Vergütungsregelung besteht auch keine Rechtsgrundlage, denn im Gegensatz zur Verordnungsermächtigung hinsichtlich des Corona-Virus SARS-CoV-2 hat der Gesetzgeber dem BMG bei dieser Art der anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe keine Kompetenz für eine vergütungsrechtliche Regelung eingeräumt. Es bleibt daher bei der Zuständigkeit des Bewertungsausschusses gemäß § 87 SGB V, eine Vergütungsregelung für diese neue Leistung einzuführen. Soweit im Referentenentwurf des BMG unter dem Punkt B. Lösung im letzten Absatz zu lesen ist, dass vertragsärztliche Leistungen im Zusammenhang mit der Verordnung und Anwendung von Nirsevimab bei Säuglingen die Beratung der Sorgeberechtigten und die Injektion des Wirkstoffes durch die Versichertengrundpauschale abgebildet sind und es insofern für die Abrechnung der damit einhergehenden vertragsärztlichen Leistungen keiner Anpassung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) bedürfe, gehört dies zwar nicht zum vorgesehenen Wortlaut der Rechtsverordnung als solche, sondern findet sich lediglich in der Einleitung; dieser Passus in der Einleitung wird aber der dem Bewertungsausschuss vom Gesetzgeber eingeräumten Kompetenz bei der Einführung für neue Leistungen nicht gerecht.

Die Einführung von Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe gegen Respiratorische Synzytial-Viren als Anspruch für gesetzlich Krankenversicherte durch Rechtsverordnung verursacht bei den betroffenen Leistungserbringern - hier den Kinder- und Jugendärzt*innen - denselben, wenn nicht, wie oben beschrieben, sogar deutlich größeren ärztlichen Handlungsbedarf und personellen und organisatorischen Aufwand. Neben der Durchführung der Medikamentengabe selbst (intramuskuläre Injektion in den Oberschenkel), auch bei gesunden Kindern, fällt hauptsachlich ein nicht zu vernachlässigender Beratungsbedarf bei den Eltern bzw. Sorgeberechtigten an. Dieser Beratungsbedarf hat in den letzten Jahren schon bei klassischen Schutzimpfungen erheblich zugenommen, weil die Akzeptanz von Schutzimpfungen in der Bevölkerung insgesamt und gerade im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie deutlich nachgelassen hat. Umso mehr Überzeugungskraft und Beratungsbedarf wird es erfordern, Eltern von einer nicht offiziell als Schutzimpfung deklarieren Prophylaxemaßnahme zu überzeugen. Es ist kein Argument für die Verortung in der Versichertenpauschale, dass die prophylaktische Gabe von gegen RSV gerichteten monoklonalen Antikörpern und die entsprechende Beratung schon bisher über die Versichertenpauschale abgerechnet wurden. Dabei handelte es sich aber um eine Maßnahme, die bei (vergleichsweise wenigen) kranken Kindern angewandt wurde (Extremfrühgeborene, Kinder mit broncho¬pulmonaler Dysplasie oder schweren Herzfehlern), so dass es sich um eine Krankenbehandlung i. S. v. § 27 SGB V gehandelt hat. Der Beratungsaufwand für diese Maßnahme bei gesunden Kindern ist ungleich höher. Abgesehen davon, dass aus diesem Grund eine Abgeltung der Leistungen, insbesondere des Beratungsaufwandes, mit der Versichertenpauschale nicht als angemessene Vergütung bewertet werden kann, kommt eine Abrechnung der Versichertenpauschale dafür nicht in Betracht bzw. diese Leistungen sind nicht Bestandteil der Versichertenpauschale. Die Abrechnung der Versichertenpauschale setzt nach den allgemeinen Bestimmungen des EBM (Punkt 4.1) einen kurativen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt oder Arzt-Patienten-Kontakt im Rahmen einer Videosprechstunde voraus. Prophylaktische Immunisierungen Gesunder sind typische Maßnahmen der Krankheitsverhütung. Die Impfleistung als solche einschließlich der dazu gehörigen begleitenden Maßnahmen wie etwa die Erhebung der Impfanamnese und das Erfragen der aktuellen Befindlichkeit zum Ausschluss akuter Erkrankungen rechtfertigen nicht den Ansatz der Versicherten- oder Grundpauschale. Auch die Untersuchung zur Feststellung der Impffähigkeit ist Bestandteil der eigentlichen Impfleistung, die dem präventiven Bereich zuzuordnen ist. Nichts anderes kann für Leistungen einer spezifischen Prophylaxe im Sinne von § 2 Nr. 10 Infektionsschutzgesetz gelten, welches schon durch den Wortlaut Prophylaxe dem präventiven Bereich ebenso wie eine Impfleistung zuzuordnen ist. Es verbleibt also bei der Zuständigkeit des Bewertungsausschusses, für diese neue Leistung - ohne einen vorherigen Richtlinien-Beschluss des G-BA - eine Vergütung festzulegen (siehe Antragsverfahren gemäß Anlage 4 der Verfahrensordnung des Bewertungsausschusses). Hier wird der Aspekt der Förderungswürdigkeit von Präventionsleistungen zu beachten sein, wie er schon 2015 im Präventionsgesetz zum Ausdruck gekommen ist. Auch wenn es sich formell nicht um eine Schutzimpfung handelt, liegt doch eine Maßnahme der Primärprävention vor, die mit einer Impfung vergleichbar ist und vergütungsrechtlich gleichbehandelt werden muss. (Insoweit beziehen wir uns auf eine uns vorliegende Stellungnahme der Kanzlei HFBP Rechtsanwälte, Frankfurt)

5. Zusammenfassung

Der BVKJ e.V. begrüßt die Einführung eines rechtlichen Anspruches von Versicherten im ersten Lebensjahr auf eine einmalige Gabe von Nirsevimab zur Verhinderung schwerer RSV-Infektionen im Säuglingsalter. Überlastungen der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung von Kindern während der Wintermonate und die Morbiditätslast bei Säuglingen an schweren Infektionen der unteren Atemwege können dadurch in Zukunft verringert werden.

Die Durchführung der Immunisierung bedeutet für die damit betrauten Kliniken und kinder- und jugendärztlichen Praxen einen erheblichen zusätzlichen Aufwand. Eine angemessene Vergütung für diesen Aufwand ist sicher zu stellen, um eine flächendeckende Umsetzung der RSV-Prophylaxe nicht zu gefährden.

Eine rasche und faire Regelung der vertragsärztlichen Vergütung muss durch den Bewertungsausschuss möglichst noch vor Beginn der nächsten RSV-Saison beschlossen werden. Dabei muss der besondere Aufwand der Praxen Berücksichtigung finden. Der BVKJ e.V. bietet dem Bewertungsausschuss seine Unterstützung bei der Kalkulation der Leistungsbewertung an.

Eine Abbildung des vertragsärztlichen Aufwandes in den Versicherten- und Grundpauschalen ist nicht gegeben. Eine Regelungskompetenz der vertragsärztlichen Vergütung im Rahmen einer Rechtsverordnung nach §20i Abs. 3 Satz 1 SGB V hat das BMG nicht. Insofern sind die diesbezüglichen inhaltlichen falschen Formulierungen unter „B. Lösung“ sowie in der Begründung unter „A. Allgemeiner Teil, II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs“ zu streichen.

Der BVKJ e.V. verweist auf die vorliegenden Stellungnahmen von DGPI, DGKJ und KBV, die wir ausdrücklich unterstützen.

Kontakt:
Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen e.V. (BVKJ)
Mielenforster Straße 2, 51069 Köln
Telefon: 0221/68909‐0
E-Mail: info@bvkj.de
Internet: www.bvkj.de

Präsident:
Dr. med. Michael Hubmann
Vizepräsident*innen:
Dr. med. Stefan Trapp

Hauptgeschäftsführer:
Tilo Radau

Referent Gesundheitspolitik:
Simon K. Hilber
Tel.: 030 280 475 10
E-Mail: simon.hilber@bvkj.de