Politik & Presse
30.04.2024 Stellungnahme

Stellungnahme des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVKJ) vom 30. April 2024 zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune (GVSG) vom 8. April 2024

Vorbemerkung
Vor dem Hintergrund des medizinischen und technologischen Fortschritts, der seit Jahren die Ambulantisierung der medizinischen Versorgung beschleunigt, muss der Gesetzgeber ein erhebliches Interesse daran haben, die Attraktivität der ambulanten Versorgung durch niedergelassene Vertragsärzt*innen zu erhöhen, um zukünftig die Versorgungssicherheit in der ambulanten Versorgung im Sinne der Patient*innen aufrechtzuerhalten.

Mit dem vorliegenden Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune (Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz – GVSG) wird durch eine Vielzahl gesetzlicher Maßnahmen die Stärkung der Gesundheitsversorgung insbesondere im hausärztlichen Versorgungsbereich beabsichtigt.

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVKJ) sieht dabei im Hinblick auf die Einzelnormen zur Entbudgetierung, dem Bonus in der hauarztzentrierten Versorgung sowie der Stellung der Selbstverwaltung noch zwingenden Änderungsbedarf.

Die Vorhalte- und Chronikerpauschalen in der hausärztlichen Versorgung sind aus Sicht der Kinder- und Jugendmedizin in der vorgeschlagenen Form ungeeignet, um tatsächlich eine Versorgungsverbesserung für die jungen Patient*innen in Deutschland herbeizuführen. Stattdessen empfiehlt der BVKJ andere Möglichkeiten für Strukturveränderungen in der vertragsärztlichen Honorierung.

Darüber hinaus hält es der BVKJ für dringend geboten, zur Stärkung der hausärztlichen Versorgung von Kindern und Jugendlichen, eine Weiterbildungsförderung in der Kinder- und Jugendmedizin analog zur Allgemeinmedizin zu etablieren.

Im Einzelnen:

1. Weiterbildung in § 75a

In der ambulanten und stationären Pädiatrie droht ein Ärztemangel, der dringend Gegenmaßnahmen erfordert. Hierzu gehört neben der bereits umgesetzten Entbudgetierung und einem Abbau von Bürokratie, welche die Niederlassung attraktiveren, dringend auch eine Stärkung der ambulanten Weiterbildung. Ein beträchtlicher Teil der Weiterbildung in der Kinder- und Jugendmedizin findet bereits jetzt in den Kinder- und Jugendarztpraxen statt, da entscheidende Inhalte ausschließlich ambulant vermittelt werden können. Das ist auch in der neuen Weiterbildungsordnung so vorgesehen.

Derzeit bestehen aber noch große Unterschiede zwischen Allgemeinmedizin und Pädiatrie in der Weiterbildungsförderung nach § 75a, die sachlich nicht begründet werden können. Der BVKJ fordert daher, die Pädiatrie analog der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin besser zu finanzieren und sie unbegrenzt zu fördern. Wenigstens sollten mindestens 750 Stellen für die Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte vorgesehen sein. Außerdem sollte keine Begrenzung der Weiterbildungsstellen durch die KVen mehr erfolgen.

Wo im § 75a die Allgemeinmedizin erwähnt ist, muss entsprechend die Kinder- und Jugendmedizin Aufnahme finden. Insbesondere ist in Abs. 3 die Anzahl der zu fördernden Stellen auf 8.250 zu erhöhen, wovon mindestens 750 Weiterbildungsstellen in der Kinder- und Jugendmedizin geschaffen werden sollen.

Der BVKJ empfiehlt folgende Änderungen in § 75a (Ergänzungen in Fett, Streichungen in Kursiv):

(1) 1Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen sind zur Sicherung der hausärztlichen Versorgung verpflichtet, die allgemeinmedizinische und kinder- und jugendmedizinische Weiterbildung in den Praxen zugelassener Ärzte und zugelassener medizinischer Versorgungszentren zu fördern. 2Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen tragen die Kosten der Förderung für die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin und Kinder- und Jugendmedizin im ambulanten Bereich je zur Hälfte. 3Die Zuschüsse der Krankenkassen werden außerhalb der Gesamtvergütung für die vertragsärztliche Versorgung gewährt. 4Die Förderung ist von der Weiterbildungsstelle auf die im Krankenhaus übliche Vergütung anzuheben und an den Weiterzubildenden in voller Höhe auszuzahlen.

(2) 1Die Krankenkassen sind zur Sicherung der hausärztlichen Versorgung auch verpflichtet, die allgemeinmedizinische und kinder- und jugendmedizinische Weiterbildung in zugelassenen Krankenhäusern und in Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, für die ein Versorgungsvertrag nach § 111 besteht, zu fördern. 2Die Zuschüsse der Krankenkassen werden außerhalb der mit den Krankenhäusern vereinbarten Budgets gewährt.

(3) 1Die Anzahl der zu fördernden Stellen soll bundesweit insgesamt mindestens 8.250 betragen, davon mindestens 750 Weiterbildungsstellen in der Kinder- und Jugendmedizin. 2Die Kassenärztlichen Vereinigungen dürfen die Anzahl der zu fördernden Weiterbildungsstellen nicht begrenzen.

(4) 1Die Kassenärztliche Bundesvereinigung vereinbart mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft das Nähere über den Umfang und die Durchführung der finanziellen Förderung nach den Absätzen 1 bis 3. 2Sie haben insbesondere Vereinbarungen zu treffen über

  1. die Höhe der finanziellen Förderung,
  2. die Sicherstellung einer durchgängigen Förderung auch bei einem Wechsel in eine andere Weiterbildungsstelle in einem Bezirk einer anderen Kassenärztlichen Vereinigung,
  3. die Verteilung der zu fördernden Stellen auf die Kassenärztlichen Vereinigungen,
  4. ein finanzielles Ausgleichverfahren, wenn in einem Bezirk einer Kassenärztlichen Vereinigung mehr oder weniger Weiterbildungsstellen gefördert werden, als nach Nummer 3 vorgesehen sind, sowie
  5. die zu fördernden Fachärzte aus dem Bereich der allgemeinen fachärztlichen Versorgung, die an der Grundversorgung teilnehmen (grundversorgende Fachärzte).
    3Mit der Bundesärztekammer ist das Benehmen herzustellen. 4Wird eine Vereinbarung ganz oder teilweise beendet und kommt bis zum Ablauf der Vereinbarungszeit keine neue Vereinbarung zustande, entscheidet das sektorenübergreifende Schiedsgremium auf Bundesebene gemäß § 89a.

(5) 1Die Höhe der finanziellen Beteiligung der Krankenkassen an den Kosten der Förderung der allgemeinmedizinischen und kinder- und jugendmedizinischen Weiterbildung vermindert sich um den von den privaten Krankenversicherungsunternehmen gezahlten Betrag. 2Über die Verträge nach Absatz 4 ist das Einvernehmen mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung anzustreben.

(6) 1Die nach Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 zu vereinbarende Höhe der finanziellen Förderung ist so zu bemessen, dass die Weiterzubildenden in allen Weiterbildungseinrichtungen nach den Absätzen 1 und 2 eine angemessene Vergütung erhalten. 2In Gebieten, für die der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen für den Bereich der hausärztlichen Versorgung eine Feststellung nach § 100 Absatz 1 Satz 1getroffen hat, soll eine höhere finanzielle Förderung vorgesehen werden. 3Die Vertragspartner haben die Angemessenheit der Förderung regelmäßig zu überprüfen und soweit erforderlich anzupassen.

(7) In den Verträgen nach Absatz 4 kann auch vereinbart werden, dass
1.die Fördermittel durch eine zentrale Stelle auf Landes- oder Bundesebene verwaltet werden,
2.eine finanzielle Beteiligung an regionalen Projekten zur Förderung der Allgemeinmedizin und Kinder- und Jugendmedizin erfolgt,
3.bis zu 5 Prozent der vorgesehenen Fördermittel überregional für die Errichtung und Organisation von Einrichtungen, die die Qualität und Effizienz der Weiterbildung verbessern können, und für die Qualifizierung von Weiterbildern bereitgestellt werden,
4.in einem Förderungszeitraum nicht abgerufene Fördermittel in den darauffolgenden Förderzeitraum übertragen sowie überregional und unabhängig von der Art der Weiterbildungseinrichtung bereitgestellt werden.

(8) Die Kassenärztlichen Vereinigungen können zur Erfüllung der in Absatz 1 genannten Aufgaben kooperieren oder eine Kassenärztliche Vereinigung mit der Durchführung der Aufgaben nach Absatz 1 beauftragen.

(9) 1Die Absätze 1 und 4 bis 8 gelten für die Förderung der Weiterbildung in der ambulanten grundversorgenden fachärztlichen Versorgung nach Maßgabe der Vereinbarung nach Absatz 4 Satz 2 Nummer 5 entsprechend. 2Es sind bundesweit bis zu 2 000 Weiterbildungsstellen, davon mindestens 250 Weiterbildungsstellen in der Kinder- und Jugendmedizin, zu fördern.

2. Hilfsmittelverordnung in § 33

Der BVKJ begrüßt, dass die Bewilligungsverfahren bei der Hilfsmittelversorgung vereinfachen werden sollen. Kinder und Jugendliche mit Behinderung haben heute noch mit viel Bürokratie und Verzögerungen bei der Versorgung mit medizinisch notwendigen Hilfsmitteln zu kämpfen. Die in § 33 Absatz 5c neu gefundene Regelung, die eine Erforderlichkeitsvermutung vorsieht, hält der Verband für sachgerecht.

3. Bonus in der hausarztzentrierten Versorgung in § 65a

Der BVKJ begrüßt die Einführung eines Bonussystems für die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung nach § 73b. Dabei scheint eine Höhe des Bonus von 30 Euro p.a. sehr niedrig angesetzt. Gleichzeitig muss zuverlässiger als heute sichergestellt werden, dass nur die Patient*innen den Bonus erhalten, die wirklich keine Leistungen außerhalb der hausarztzentrierten Versorgung in Anspruch genommen haben, sonst geht die Steuerungswirkung verloren. Patient*innen sollten von den Kassen außerdem auf die neue Möglichkeit hingewiesen werden müssen, um hohe Einschreibungsraten zu erreichen.

Der mit einer hausarztzentrierten Versorgung verbundene Steuerungsgedanke bedarf darüber hinaus weiterer gesetzlicher Verbesserungen.
Um die qualitätsgesicherte und leitlinienorientierte Steuerung der Versorgung auch in der Pädiatrie zu verbessern, muss es eine Gleichbehandlung der Kinder- und Jugendmedizin mit der Allgemeinmedizin bei den Hausarztmodellen nach § 73 b SGB V geben.
Der BVKJ empfiehlt folgende Änderungen in § 73b.

In Abs. 3 Satz 2 sind das Semikolon sowie die Wörter „die direkte Inanspruchnahme eines Kinder- und Jugendarztes bleibt unberührt“ zu streichen.

In Abs. 4 ist nach Satz 1 folgender Satz 2 einzufügen:
„Zur flächendeckenden Sicherstellung des Angebots nach Absatz 1 für Kinder und Jugendliche haben Krankenkassen allein oder in Kooperation mit anderen Krankenkassen spätestens bis zum 30. Juni 2025 Verträge mit Gemeinschaften zu schließen, die mindestens die Hälfte der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Kinder und Jugendärzte des Bezirks der Kassenärztlichen Vereinigung vertreten.“
In Satz 3 sind die Wörter „oder soll ein Vertrag zur Versorgung von Kindern und Jugendlichen geschlossen werden“ zu streichen.

4. Chronikerpauschale in § 87 Abs. 2b

Der BVKJ hält eine neue Versorgungspauschale zur Behandlung chronisch kranker Patientinnen und Patienten in der vorliegenden Entwurfsfassung in der Kinder- und Jugendmedizin in der vorgelegten Form für ungeeignet.

Die Definition der Entwurfsfassung bezieht sich allein auf die Erwachsenenmedizin, insbesondere der im Referentenentwurf benannte Arzneimittelbedarf kann keinesfalls das Maß in der Kinder- und Jugendmedizin sein.

Während bei den Erwachsenen Zivilisationskrankheiten dominieren, sind die chronischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen breiter gestreut. Bei Patient*innen mit seltenen Erkrankungen oder Behinderungen ist ein hoher Betreuungsaufwand die Regel. Häufige chronische Erkrankungen (wie z. B. Neurodermitis oder Asthma) hingegen verursachen gerade bei guter Betreuung nicht unbedingt hohe Medikamentenkosten.

Ein wichtiges Chronikermerkmal sind auch die Sozialpädiatrie und die Behandlung der sogenannten „Neuen Morbiditäten“. Hierunter verstehen wir Entwicklungsstörungen, die sich auf das Sozial- und Lernverhalten sowie die zwischenmenschliche Interaktion und die Emotionen beziehen – wie ADHS, Teilleistungsstörungen, soziale Ängste, Bindungs- und Regulationsstörungen. Diese Erkrankungen spielen nicht erst seit der Pandemie eine große Rolle in pädiatrischen Praxen.

All diese jungen Patient*innen wären von der Entwurfsfassung nicht erfasst.

Es ist daher gesetzlich klarzustellen, dass die neue Pauschale in der Pädiatrie keine Anwendung findet.

Um die Kinder und Jugendmedizin einzuschließen müsste die Definition chronisch Kranker dringend weiter gefasst werden. Eine Lösung ist allenfalls durch eine pädiatriegerechte Diagnosenliste denkbar, die auch die Sozialpädiatrie miteinschließt.

5. Vorhaltepauschale in § 87 Abs. 2n (neu)

Die Zielrichtung, mit einer Vorhaltepauschale besonders diejenigen Praxen zu stärken, die die Grundversorgung im hausärztlichen Bereich sicherstellen, begrüßt der BVKJ ausdrücklich. Aber in der konkreten Ausgestaltung ist auch diese Pauschale in der Kinder- und Jugendmedizin nicht anwendbar.

Zwar lassen sich „Versorgerpraxen“ in der Kinder- und Jugendmedizin wie in der Allgemeinmedizin über hohe Scheinzahlen bestimmen, der BVKJ weist jedoch darauf hin, dass die anderen Voraussetzungen für die Vorhaltepauschale insbesondere bei Praxisöffnungszeiten und Hausbesuchen deutlich zu eng gefasst sind, so dass sie auf pädiatrische Praxen nicht zutreffen können. Damit würde ein Großteil der pädiatrischen Praxen, die die Hauptlast der Versorgung tragen, von der Finanzierung ausgeschlossen. In der vorliegenden Form würde der Gesetzentwurf also dazu führen, dass eine Umverteilung zulasten der Kinder- und Jugendmedizin stattfindet.

Es ist daher gesetzlich klarzustellen, dass die neue Pauschale in der Pädiatrie keine Anwendung findet. Im Einzelnen:

5.1. Vorgaben bezüglich Öffnungszeiten

Die genannten Bedingungen bezüglich der Öffnungszeiten gehen an den Bedarfen und den personellen Kapazitäten in der Kinder- und Jugendmedizin komplett vorbei.

Das Erfordernis einer Abendsprechstunde geht im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin von vornherein an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen vorbei. Es ist Kindern nicht zuzumuten, in den Abendstunden Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch zu nehmen.

Zusätzliche Sprechstunden, insbesondere am Wochenende, gehen ebenfalls am Bedarf vorbei und sind zudem von Kinder- und Jugendarztpraxen personell nicht zu schultern. In den Praxen herrscht schon heute ein Mangel an Medizinischen Fachangestellten. Mit dem vorhandenen Personal ist eine vertragliche Ausweitung der Arbeitszeiten auf die Wochenenden nicht reell umsetzbar. Zusätzliches Personal auf dem leergefegten Arbeitsmarkt zu akquirieren ist in der Realität praktisch undenkbar. Auch die ärztlichen Kapazitäten reichen für den angedachten zusätzlichen Aufwand nicht aus.

Mit der Maßnahme würde so das Ziel, dem Ärztemangel in der Niederlassung entgegenzuwirken, konterkariert. Beispielsweise würde eine frisch niedergelassene Kinder- und Jugendärztin mit Familie, die nicht in der Lage ist, auch samstags Sprechstunden anzubieten, finanziell bestraft. Eine solche Folge der Neuregelung kann nicht politisch gewollt sein.

Sollte gegen unsere dringende allgemeine Empfehlung, die Anwendung der Vorhaltepauschale auf die Kinder- und Jugendmedizin auszuschließen, entschieden werden, empfiehlt der BVKJ wenigstens folgende Änderungen in § 87a:
In Absatz 2n Satz 3 sind das Komma und die Worte „bedarfsgerechte Praxisöffnungszeiten“ zu streichen.

5.2. Vorgaben bezüglich Hausbesuchen

Gänzlich ungeeignet ist auch die Anzahl der Hausbesuche, welche in der Pädiatrie wegen der geringen Zahl immobiler Patienten, sowie der bei akut kranken Kindern oft indizierten Point-Of-Care Diagnostik (Blut- und Urinuntersuchungen, Infektionsdiagnostik, Ultraschall), eine marginale Rolle spielen. Eine Klarstellung, dass dieses Erfordernis für den Bereich der Kinder- und Jugendmedizin nicht bedarfsgerecht wäre, ist erforderlich. Möchte der Gesetzgeber in der Erwachsenenmedizin die Finanzierung von Hausbesuchen verbessern, sollte er dafür einen anderen Weg im EBM finden.

Sollte gegen unsere dringende allgemeine Empfehlung, die Anwendung der Vorhaltepauschale auf die Kinder- und Jugendmedizin auszuschließen, entschieden werden, empfiehlt der BVKJ wenigstens folgende Änderungen in § 87a:

In Absatz 2n, Satz 3 sind die Wörter „eine bedarfsgerechte Versorgung mit Haus- und Pflegeheimbesuchen“ zu streichen.

5.3. Pädiatriegerechte Vorhaltepauschale

Sollte der Gesetzgeber eine Vorhaltepauschale in der Kinder- und Jugendmedizin einführen wollen, regt der BVKJ an, neben der Scheinzahlen die Anzahl der durchgeführten Präventionsleistungen, insbesondere Kindervorsorgeuntersuchungen und Schutzimpfungen als weiteres Kriterium für Versorgerpraxen festzulegen.

Dabei ist zu beachten, dass in der Pädiatrie (anders als in der Erwachsenenmedizin) auch die fachärztlich arbeitenden Pädiater hausärztlich tätig sind. Die Schwerpunktpädiatrie (Kinderkardiologie, Kinderpneumologie, Kinderneuropädiatrie, Kindergastroenterologie, etc.) muss deshalb auch abgebildet werden.

Dies bedeutet, dass die Anrechnung des Präventionskriteriums für den Schwerpunkt-Anteil einer Praxis bei der Vorhaltepauschale nicht gelten kann und dass die differenten Tätigkeiten bei der Versorgungspauschale in den einzelnen Schwerpunkten abgebildet werden müssen.
Gesonderte Anforderungen für Kinder- und Jugendärzte mit wesentlicher Tätigkeit in der Schwerpunktpädiatrie sind deshalb zu finden.

6. Weiterer Regelungsbedarf im EBM in § 87 und § 87a

Der Gesetzgeber sollte eine Strukturpauschale für den ländlichen Raum sowie eine Strukturpauschale für soziale Brennpunkte vorsehen. Die bestehende Gesetzesgrundlage in § 87a Abs. 2 Satz 2 müsste entsprechend geschärft werden. Aus Sicht des BVKJ muss klargestellt werden, dass die Selbstverwaltung zum Abschluss entsprechender Zuschläge verpflichtet ist. Der BVKJ hält einen prozentualen Zuschlag auf jeden Ordinationskomplex für sachgerecht.

Um eine Verbesserung der pädiatrischen Versorgung zu ermöglichen, empfiehlt der BVKJ die Reduzierung der Leistungspauschalierung. Insbesondere sollte EBM Ziffer 04230 („Problemorientiertes ärztliches Gespräch, das aufgrund von Art und Schwere der Erkrankung erforderlich ist“) bei jeder Arzt-Patienten-Konsultation abrechenbar sein.

Außerdem sollte die Problematik der medizinischen Mehrbesuche sozial benachteiligter Kinder im EBM Berücksichtigung finden. Damit könnte erreicht werden, dass sich die Versorgung von besonders beratungsbedürftigen sozial benachteiligten Kindern verbessert.

Um die Potentiale der Digitalisierung besser zu nutzen, muss die Vergütung der Telemedizin, einschließlich der Beratung am Telephon und über sichere Chat-Verbindungen verbessert und gleichberechtigt zur analogen Beratung vergütet werden.

7. Verhandlungen über Zuschläge in § 87a

Aus Sicht des BVKJ ist die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit einer Neuformulierung des § 87a, Abs. 3b Satz 3 nicht ersichtlich. Statt wie bisher Zuschläge zu vereinbaren, soll darüber nur noch verhandelt werden. Damit können und werden sich Kassen zukünftig einer vom Gesetzgeber gewünschten Förderung der Strukturen der Kinder- und Jugendmedizin verweigern. In der Gesetzesbegründung wird auf den Hintergrund dieser Regelung nicht eingegangen.

Der BVKJ empfiehlt folgende Änderungen in § 87a:
Die Neuformulierung von 3b Satz 3 ist zu streichen.

8. Entbudgetierung der Allgemeinmedizin § 87a

Der BVKJ begrüßt, dass mit der Allgemeinmedizin eine weitere ärztliche Gruppe von der Budgetierung befreit wird. Um die Versorgung sicherzustellen und für die Zukunft zu erhalten, ist die Vergütung aller ärztlicher Untersuchungen und Behandlungen zentrale Grundvoraussetzung und daher auch Erwartung aller Ärztinnen und Ärzte gegenüber der Politik. Aus Sicht des BVKJ sind darin mittelfristig auch Fachärztegruppen, wenn sie auf Überweisung aus dem hausärztlichen Versorgungsbereich tätig werden, einzubeziehen.

9. Wirtschaftlichkeitsprüfungen in § 106 und § 106b

9.1. Geringfügigkeitsgrenze
Der BVKJ begrüßt die Einführung einer Geringfügigkeitsgrenze von 300 Euro bis zu deren Erreichung keine Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlich Verordneter Leistung beantragt werden sollen. Damit wird ein wichtiger Schritt für Bürokratieabbau geleistet. Es wäre aus Sicht des BVKJ aber sinnvoll, den Behandlungsfall entsprechend der Definition im Bundesmantelvertrag-Ärzte zugrunde zu legen. Die dort gefundene Definition schließt die angestrebte Differenzierung nach Arztpraxis, Krankenkasse und Quartal bereits ein.

9.2. Fristverkürzungen
Weiterhin möchte der BVKJ anregen, neben der Geringfügigkeitsgrenze auch die Frist nach § 106 Abs. 3 von derzeit zwei Jahren deutlich zu verkürzen. Diese führt zu einem großen wirtschaftlichen Schaden für die Praxen und einem unverhältnismäßigen Bürokratieaufwand.
Wenn nach fast zwei Jahren Beanstandungen erfolgen, lassen sich nachträglich die Gründe, die zum Einsatz eines bestimmten Medikaments geführt haben, nur schwer rekonstruieren, auch wenn diese absolut sachgerecht und notwendig waren. Das bestehende Regelwerk beispielsweise bei den Sprechstundenbedarfsvereinbarungen ist überkomplex, fehleranfällig und erfordert einen ausufernden Dokumentationsaufwand. Beanstandungen sollten daher innerhalb einer deutlich kürzeren Frist beanstandet werden müssen, so dass im Praxisteam gegebenenfalls auch tatsächlich gegengesteuert werden kann. Aus Sicht des BVKJ sollten 6 Monate in der Regel dafür ausreichen.
Folgeprüfverfahren zum identischen Sachverhalt sollten explizit ausgeschlossen sein.

9.3. Off-Label-Medikamente ohne Regress
Daneben sollten für eine bessere Versorgung von Kindern und Jugendlichen Prüfverfahren bei einer Weiterverschreibung von in der Klinik verordneten Off-Label-Medikamenten explizit ausgeschlossen sein. Der Sachverhalt soll ggf. von den Krankenkassen anhand eigener Daten geprüft werden.

9.4. Clearingstelle bei Fehlbuchung
Außerdem sollten berechtigte Leistungen, die nur dem falschen Kostenträger in Rechnung gestellt wurden, zukünftig nicht mehr zu einem Regress gegen Ärzt*innen führen. Dies ist derzeit etwa bei einem fehlerhaft ausgestelltem Impfstoffrezept der Fall (statt Sprechstundenbedarf z.B. auf den Patienten). Obwohl keine tatsächlichen Kosten für das Gesamtsystem entstanden sind, wird derzeit ein Schaden in Höhe der Impfstoffkosten gegenüber der Praxis geltend gemacht. Solche Fälle sollten systemintern (z.B. über eine Clearingstelle) dem richtigen Kostenträger in Rechnung gestellt werden.

10. Hebammen im G-BA in §92

Die beabsichtigte Neufassung ist nicht sachgerecht und wird in der beabsichtigten Form ausdrücklich abgelehnt.

Die beabsichtigte Neufassung geht bereits von falschen Prämissen aus. Die Mutterschafts-Richtlinie des G-BA regelt an keiner Stelle die Zusammenarbeit zwischen Frauenärzt*innen und Hebammen, da sie ausschließlich die ärztliche Schwangerenvorsorge regelt. Diesbezüglich erfolgte bereits durch Beschluss des G-BA vom 16. Februar 2023 eine klarstellende Anpassung zum Regelungsumfang, der am 13. Mai 2023 in Kraft getreten ist.

Vor dem Hintergrund, dass die Mutterschafts-Richtlinie auch nach dem Wortlaut des § 92 Abs. 1 Nr. 4 SGB V lediglich die „ärztliche Betreuung bei Schwangerschaft und Mutterschaft“ und nicht die Schwangerschaftsvorsorge durch Hebammen regelt, ist bereit das Stellungnahmerecht für die Hebammenverbände mangels unmittelbarer Betroffenheit der Hebammen nicht sachgerecht.

Die Hebammen wären im Übrigen bereits über das Stellungnahmerecht der wissenschaftlichen Gesellschaft der Hebammen, der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e.V. (DGHWi), in die Beschlussfassung des G-BA eingebunden.

Der BVKJ fordert daher, in die Regelung des § 92 Absatz 1b SGB V ein Mitberatungsrecht und gesetzliches Stellungnahmerecht der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Berufsverbänden der Hebammen und den Verbänden der von Hebammen geleiteten Einrichtungen auf Bundesebene aus der beabsichtigten Regelung zu streichen.

11. Regelung zur Selbstverwaltung in § 96

Mit dem § 96 Abs. 2a wird beabsichtigt, zukünftig Entscheidungen des Zulassungsausschusses für Ärzte nur noch im Einvernehmen mit der für die Sozialversicherung zuständigen obersten Landesbehörde zu treffen.

Ein solches Gesetz würde die Autonomie der gemeinsamen Selbstverwaltung in höchstem Maße einschränken, den Einfluss des Staates auf die Organisation der vertragsärztlichen Versorgung erheblich verstärken und letztlich einen weiteren Schritt hin zu einer Staatsmedizin bedeuten.
Der Zulassungsausschuss stellt ein originäres Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung dar und repräsentiert im Kern den Sicherstellungsauftrag, der den Ärzten und den Krankenkassen im Zuge des Subsidiaritätsprinzips vor langer Zeit übertragen wurde.

Die für die Sozialversicherung zuständigen obersten Landesbehörden haben bereits heute ein Mitberatungsrecht in den Zulassungsausschüssen. Ein Genehmigungsvorbehalt der für die Sozialversicherung zuständigen obersten Landesbehörden zu den Entscheidungen der Zulassungsausschüsse, wie dieser nunmehr durch die Einvernehmensregelung beabsichtigt ist, stellt einen fundamentalen Eingriff in die Autonomie der gemeinsamen Selbstverwaltung dar, die bei ihren Entscheidungen an Recht und Gesetz gebunden ist und unter Rechtsaufsicht steht.

Ein solcher Genehmigungsvorbehalt würde bedeuten, dass die für die Sozialversicherung zuständigen obersten Landesbehörden einen massiven inhaltlichen Einfluss auf die Entscheidungen der Zulassungsausschüsse bekämen. Die beabsichtigte Regelung stellt damit die Selbstverwaltung insgesamt in Frage.

Sowohl der Sicherstellungsauftrag als auch die mit ihm einhergehende Entscheidungshoheit der Selbstverwaltung in den Gremien sind gesellschaftliche Errungenschaften, die unbedingt schützenswert sind.

Der BVKJ lehnt die beabsichtigte Einvernehmensregelung für die für die Sozialversicherung zuständigen obersten Landesbehörden ausdrücklich ab.

12. RSV-Impfung

RSV-Infektionen haben in den vergangenen Wintern die Kinder- und Jugendarztpraxen und Krankenhäuser an ihre Grenzen gebracht. Dank der neuen Möglichkeit zur Primär-Prophylaxe mit einem langwirksamen Antikörper können gerade die kleinen Kinder endlich geschützt werden. Allerdings sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz der Primär-Prophylaxe noch nicht ideal.

Der BVKJ empfiehlt, in § 20i und § 132e SGB V statt auf „Schutzimpfungen“ auf „Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe“ abzuheben, so dass die langwirksamen Antikörper analog zur Impfung eingesetzt werden können. So kann eine Steigerung der Impf- und Immunisierungsquoten erreicht werden.

Kontakt:
Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen e.V. (BVKJ)
Mielenforster Straße 2, 51069 Köln
Telefon: 0221/68909‐0
E-Mail: info@bvkj.de
Internet: www.bvkj.de

Präsident:
Dr. Michael Hubmann
Vizepräsident*innen:
Angela Schütze-Buchholz
Dr. med. Stefan Trapp

Erstellt durch:
Tilo Radau, Hauptgeschäftsführer
Simon K. Hilber, Referent Gesundheitspolitik